Roland Leder
Präsident der WVMetalle
Noch nie in meiner bisherigen Amtszeit als Präsident der WirtschaftsVereinigung Metalle war es so herausfordernd, ein passendes Geleitwort für den Geschäftsbericht zu formulieren. Es sind besondere Zeiten, in denen die Halbwertszeit von Informationen und deren Kommentierung kaum länger als einige wenige Tage Bestand haben. Das geo- und wirtschaftspolitische Umfeld ändert sich rasant.
Was die Politik heute diskutiert, kann morgen bereits überholt sein. Ähnliches gilt auch für ein Editorial.
Ich möchte daher einige wenige Aspekte und Einsichten hervorheben, die mich sowohl als WVMetalle-Präsident als auch in meiner Rolle als Vice President bei Novelis bewegen.
Für uns als energieintensive Branche stehen insbesondere zwei Fragen im Fokus: Was kostet Energie und wieviel werden wir bekommen? Was bislang ein wichtiges Thema für Politikexpert*innen und die Geschäftsführung in unseren Unternehmen war, ist seit geraumer Zeit auch Gesprächsinhalt am Familientisch. Egal ob man Börsennachrichten oder die Tagesschau verfolgt, überall lautet die Botschaft: Die Energiemärkte sind aus den Fugen geraten. Die physische Verknappung aufgrund einer international schwierigen Gemengelage und extremen Umweltereignissen führt zu Kostensteigerung und Engpässen, die sich auf viele Lebensbereiche auswirken. Selbst gestandene Energieexperten sind in diesen Zeiten verzweifelt auf der Suche nach sinnvollen Strategien und bleiben Antworten schuldig.
Aus Unternehmensperspektive bedeutet das: Wir brauchen eine neue Perspektive für die Energiebeschaffung und -vermarktung. Die Planungshorizonte werden kürzer, die erforderliche Reaktionsgeschwindigkeit nimmt zu. Unsere bisherigen Ressourcen reichen nicht aus, um die zunehmende Komplexität rund um unsere Energieversorgung nachhaltig zu managen. Die Kostenbelastung ist überproportional gestiegen – eine Entspannung der Märkte nicht in Sicht.
Die Folge? Unternehmen müssen sich auf längerfristige Planungsunsicherheiten einstellen. Ein Ende der potenziellen Mangellage beim Gas ist zudem vorerst nicht erkennbar. Und sowohl der Gas- wie auch der Strompreis schießen durch die Decke. Dies führt dazu, dass bisher funktionierende Geschäftsmodelle neu bewertet werden müssen. Alles kommt auf den Prüfstand: Lohnen sich gewisse Produktionen in Deutschland noch? Wenn nein, was kann oder muss wie und wann heruntergefahren oder verlagert werden? Welche Preisanpassungen sind auf Kundenseite notwendig? Was, wenn sich die Gas-Mangellage manifestiert? Welche Szenarien sind denkbar und planbar? Wie und unter welchen Bedingungen ließe sich die Abhängigkeit von Gas aus Russland und Gas generell verringern, ohne in die Gefahr zu laufen, sich in neue Abhängigkeiten zu begeben?
Und doch: Ein anderer Blick als nach vorn ist nicht möglich. Kurzfristig gibt es fast kein Potenzial, Gas durch klimaneutrale Energieträger zu ersetzen. Erst ab einem Zeitraum von mehr als drei Jahren steigen die Potenziale für einen dauerhaften Ersatz spürbar an. Neben Strom scheinen mittelfristig auch Wasserstoff oder andere Energieträger möglich. Dazu müssen allerdings im Wesentlichen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Verfügbarkeit hinsichtlich der Infrastruktur und Technologie sowie Verfügbarkeit und ein wettbewerbsfähiger Preis des Erdgassubstituts.
All das wird sich nicht zuletzt auf die Sicherheit der Arbeitsplätze in unseren Mitgliedsunternehmen auswirken. Denn bisherige Entlastungsprogramme zielen nicht genug darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit und den Produktionsstandort zu sichern. Die NE-Metallindustrie hält den Schlüssel zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft und der Versorgungssicherheit durch heimische Ressourcen in der Hand. Metalle lassen sich ohne Qualitätsverlust immer wieder recyclen. Dazu bedarf es intelligenter Sammelsysteme und Produktionsanlagen, die aus Sekundärrohstoffen und Energie neue Metalle und Legierungen schmelzen.
Der Erfolg unserer Industrie ist auf Technologieführerschaft, dem hohen Engagement der Belegschaften sowie der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie aufgebaut. Nur gemeinsam können wir die Kreislaufwirtschaft von morgen gestalten. Ich lade Sie ein, dafür einmal die Perspektive zu wechseln.